Das Interview: Deep Learning in der Immobilienwelt

Autonome Autos funktionieren mit Statistik

Der gegenwärtige Digitalisierungs-Hype erinnert an die Anfangszeit des Internets. Wer mit den neuen Trendwörtern gut hantiert, darf gegenwärtig mit hoher Resonanz rechnen. Skeptiker hingegen möchten sich zuallererst von konkreten Ergebnissen und Best Practice überzeugen lassen. Tatsache ist: Es lohnt sich in allen Fällen zu prüfen, welche Risiken und Chancen die neuen Technologien beinhalten und ob sich das Ergebnis auf die Geschäftsstrategie übertragen lässt. Wie und in welchem Ausmass dies die Immobilienindustrie betrifft, wollte IAZI-Quarterly vom Data-Science-Experten Michael Mayer wissen.

Wie weit ist die Digitalisierung für einen Data-Science-Experten relevant?

Michael Mayer: Spätestens seit Googles „PageRank“-Suchalgorithmus mittels Wahrscheinlichkeitsrechnung das Internet erobert hat, erlebt die eher mit einem staubigen Image behaftete Statistik einen enormen Prestigeschub. Viele aktuelle Innovationen und Schwerpunkttechnologien aus der gegenwärtigen Digitalisierungswelle basieren ganz wesentlich auf Statistik bzw. Data Science. Nehmen wir als Beispiel selbstfahrende Autos: Ein ganz zentrales Element dabei ist die Realtime-Erkennung von Personen oder Hindernissen auf der Strasse. Dazu braucht es in der Regel statistische Modelle, die zuvor auf riesigen Bild- und Videodatenbanken berechnet wurden. In diesem Zusammenhang spricht man auch von künstlichen neuronalen Netzen oder von „deep learning“.

Ist „deep learning“ dasselbe wie maschinelles Lernen?

Michael Mayer: Deep Learning ist nur eine von unzähligen Techniken des maschinellen Lernens. Sie hat in den letzten Jahren insbesondere die Analyse von unstrukturierten Daten, das heisst von Bildern, Filmen oder Texten revolutioniert. Die Anwendungen davon sind so faszinierend wie auch beängstigend: In den USA werden beispielsweise Stammkunden in Fast-Food-Restaurants automatisch digital identifiziert, damit ihre Bestellungen sofort vorbereitet werden können. Ebenso werden mit den gleichen Tools bekannte Ladendiebe bereits beim Ladeneingang erkannt und dann speziell beobachtet. Nicht auszudenken, was autoritäre Regimes mit solchen Technologien anstellen und anstellen werden – „1984“ lässt grüssen.

Gibt es auch weniger futuristische Anwendungen von maschinellem Lernen?

Michael Mayer: Ein bisschen weniger spektakulär, aber schon lange verfügbar sind Spamfilter. Hier wird jeder E-Mail-Text nach auffälligen Elementen beziehungsweise Schlüsselwörtern durchsucht und anschliessend mittels statistischem Klassifikationsmodell einer bestimmten Mailbox zugewiesen. Um solche Modelle zu entwickeln, waren ursprünglich grosse E-Mail-Datenbanken nötig, bei denen jedes einzelne E-Mail von Hand in Spam oder Nicht-Spam eingeteilt werden musste. Mittlerweile übernehmen wir Benutzer diese manuelle Arbeit gratis, beispielsweise indem wir in Gmail auf „Report Spam“ klicken. So können die Spamfilter ohne grossen Aufwand laufend verbessert werden.

Generell entwickeln sich die statistischen Tools in den Bereichen Big-Data und dem maschinellen Lernen rasant. Ein Grund dafür mag sein, dass hier nicht immer Universitäten den Takt vorgeben, sondern milliardenschwere Konzerne wie Google oder Microsoft. Diese machen ihre Technologien zum Teil öffentlich, um deren Weiterentwicklung noch stärker zu beschleunigen.

Die Basis von IAZI sind hedonische Modelle zur Schätzung von Immobilienpreisen. Sind diese Modelle im Licht der neusten Entwicklungen und Technologien noch zeitgemäss?

Michael Mayer: Ja, absolut. Die IAZI-Modelle beruhen auf einem exklusiven, innovativen Modellierungsprozess, der über mehrere Stufen geht. Ein Teil des Prozesses besteht zum Beispiel in der Datenvorbereitung sowie der Berechnung von zentralen Grössen wie Makro- und Mikrolageaggregaten. Generell wird dieser Prozess seit über 20 Jahren ständig optimiert, auch unter Verwendung von modernen statistischen Techniken, beispielsweise von sogenanntem Ensemble-Learning, bei dem mehrere leicht unterschiedlich spezifizierte statistische Modelle berechnet und dann kombiniert werden. Die Erkenntnisse von den neuen Technologien fliessen so fortlaufend in die verschiedenen IAZI-Applikationen ein.

Wird sich der Beruf des Statistikers grundlegend ändern?

Michael Mayer: Die Arbeit des Statistikers besteht im Wesentlichen darin, Daten in nützliche Erkenntnisse umzuwandeln. Dies wird auch in Zukunft so bleiben. Dass sich die Werkzeuge hierfür, also die Algorithmen und Softwares, weiterentwickeln, versteht sich von selbst.

 

Michel Benedetti
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