Das Interview: Was bedeutet das Negativzinsumfeld für die Schweizer Wirtschaft?

«Institutionelle Anleger haben längere Anlagehorizonte»

Das seit über zwei Jahren vorherrschende Negativzinsumfeld und der damit verbundene Anlagenotstand treiben den Bau von Mietwohnungen auf sehr hohe Niveaus – und zwar ungeachtet des Nachfragerückgangs infolge geringerer Zuwanderung. IAZI-Quarterly hat den bekannten Publizisten und Wirtschaftsjournalisten Beat Kappeler gebeten, vor diesem Hintergrund eine aktuelle Wirtschaftsprognose zu entwerfen und die Folgen für den Immobilienmarkt aufzuzeigen.

SNB-Vizepräsident Dr. Fritz Zurbrügg hat in einem Cash-Interview im Dezember 2016 weitere Zinssenkungen nicht ausgeschlossen, etwa dann, „wenn die Eurozone sich im Zuge der italienischen Bankenkrise oder von Wahlen weiter destabilisiert“. Ist dieses Szenario für Sie denkbar und was würde eine erneute Zinssenkung für einzelne Wirtschaftssektoren der Schweiz bedeuten?

Beat Kappeler: Zinssenkungen können bald nur noch verschärfte Negativzinsen bedeuten. Wir sind – wie in anderen Ländern – durch die Notenbanken in ein völlig verzerrtes, künstliches Umfeld geraten. Die Schweizerische Nationalbank agiert darin reaktiv, ist also kein Täter. Aber die Grenzen für Negativzinsen sind die Kosten der Bargeldhaltung, und wenn die Schweiz liberal bleiben will, kann sie nicht den Status des Bargeldes als „legal tender“ verbieten (Anm. d. Red.: „offizielles Zahlungsmittel“).

Die Euroskeptiker haben durch den Brexit Aufwind gekriegt. Wäre der Euro-Raum überhaupt überlebensfähig, wenn einzelne Länder wie z.B. Frankreich, Griechenland oder Italien zu ihrer Ursprungswährung zurückkehrten? 

Beat Kappeler: Griechenland könnte eine Auszeit ohne grosse Verwerfungen nehmen, wie der deutsche Finanzminister Schäuble bemerkte. Bei Frankreich oder Italien wäre dies technisch an sich auch möglich, doch es hätte Konsequenzen für deren Schuldenlage. Der Euro aber würde unter Generalverdacht geraten und wäre wohl nur durch die echte von deutschen Politikern oft zitierte ‚Vergemeinschaftung’ von Haftung und Schulden unter den verbleibenden, soliden Ländern zu retten.

Der Wahlsieg von Donald Trump in den USA hat bei Marktbeobachtern zuerst die Hoffnung geweckt, dass seine Wirtschaftspolitik den Dollar stärken, und somit den Aufwärtsdruck auf den Franken etwas mindern würde. Sind diese Hoffnungen noch intakt? 

Beat Kappeler: Der Dollar könnte tatsächlich weiterhin den „Blitzableiter“ für den Frankenkurs spielen, weitere Zinserhöhungen der FED sind wahrscheinlicher geworden. Diese Rolle wird nötig sein, weil ich für den Euro – wegen Italien etc. – eben weitere Verwerfungen erwarte.

Deutschland und Japan sind ja bereits in die Schusslinie der US-Regierung geraten wegen angeblicher Währungsmanipulationen. Muss die Schweiz hier auch Kritik erwarten und wie ernst muss sie diese nehmen? 

Beat Kappeler: Besonnenere Leute, wie sogar der neue Finanzminister der USA stimmen nicht in diesen Vorwurf ein. Als SNB würde ich den Amerikanern einfach vorhalten, dass sie seit dem Ende von Bretton Woods 1971 den Dollar gegenüber dem Franken um 75% abgewertet haben und dann fragen, wer manipulierte hier! Wenn die US-Exportwirtschaft nach einer solchen Tat immer noch nicht wettbewerbsfähig ist, dann liegt das an ihr selbst.

Institutionelle Anleger haben oft keine andere Wahl, als Anteile ihres Vermögens in Immobilien zu investieren. Entstehen hier Risiken, vor allem wenn man bedenkt, dass sich diese Gelder nicht so schnell umschichten lassen wie bei Finanztiteln? 

Beat Kappeler: Ich habe hier anekdotische, situative Gefühle, keine Analyse bereit. Aber die Wälder von Kranen beunruhigen mich schon etwas. In den 90er Jahren sah man, wie der Immobilienpark träge ist, der Drang der Anleger zum Ausgang aber heftig. Der Druck geht dann nur über die Preise weg. Immerhin haben institutionelle Anleger längere Anlagehorizonte, oft auch wenig Fremdkapital, so können sie einen Zyklus durchalten.

Einer der Gründe für die Immobilienkrise in den 1990er-Jahren war ein plötzlicher Zinsanstieg. Ist dieses Szenario nun in weite Ferne gerückt? 

Beat Kappeler: Für den Frankenzins erwarte ich keine stürmische Entwicklung, weil Verwerfungen im Ausland wohl weiterhin via steigende Frankenkurse abgefedert werden.  Damals hatten die Banken ein rationelleres Zahlungssystem eingeführt, welches die Geldmasse besser nutzte. Wenn die Geldumlaufgeschwindigkeit steigt, ist die Geldmenge das Produkt aus Masse und Umlauf, also zu gross. Deshalb trat die SNB spät, aber stark auf die Bremse.

 

Michel Benedetti
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