Mit 68.7% Ja-Stimmen hat die Schweizer Bevölkerung am 9. Juni 2024 ein neues Energiegesetz angenommen. Während im Gesetzesprozess noch von umfassenden Solarvorschriften die Rede war, enthält die endgültige Vorlage lediglich eine Weiterführung der bisherigen Praxis: Solarpflicht besteht bei Neubauten mit einer anrechenbaren Gebäudefläche von 300 m2.
In der Schweiz hat sich bei den erneuerbaren Energien im Gebäudebereich einiges getan. Ein Beispiel hierfür sind die Energiequellen für die Heizungen. Nur noch rund 55% der Wohngebäude in der Schweiz sind mit Öl oder Gas beheizt. Im Nachbarland Deutschland sind es derweilen rund 72%. Der Trend zeigt eindeutig nach unten, so machen die fossilen Heizungen nur noch 12-15% der verkauften Heizsysteme aus. Doch bis das Ziel von Netto-Null bis 2050 erreicht ist, muss noch einiges passieren. Aus diesem Grund möchte die Politik die Energiewende des Gebäudeparks in mehreren Bereichen vorantreiben. Dazu gehört auch die Eigenstromerzeugung, die in aller Regel durch Solaranlagen gewährleistet wird.
Aufgrund der drohenden Energieknappheit intervenierte der Bundesrat im Herbst 2022 mittels einer Notverordnung und führte eine vorerst befristete Solarpflicht für Neubauten ab einer Gebäudefläche von 300 m2 ein. Im sogenannten Energie-Mantelerlass, einem Gesetzespaket zur Förderung erneuerbarer Energien, sollte die damalige Notverordnung in dauerhaftes Recht überführt werden. Offenbar schien der Bundesrat mit seiner Notverordnung die Büchse der Pandora geöffnet zu haben, denn im Zuge des Gesetzesprozesses überschlugen sich die Forderungen. Schlussendlich blieb es bei der ursprünglichen 300 m2 Regel. Das fertige Gesetz (Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien) wurde vom Volk am 9. Juni 2024 mit 68.7% Ja-Stimmen angenommen.
Nach der erfolgreichen Abstimmung erhofften sich wahrscheinlich manche Politiker und Politikerinnen, das Thema Solarpflicht für eine Weile los zu sein. Nichtsdestotrotz soll die Energiewende mithilfe strenger Regulierungen neuen Schwung erhalten. Auf Bundesebene haben die Grünen eine Solarinitiative lanciert. Was der Ständerat im Energie-Mantelerlass noch abgelehnt hat, soll nun an der Urne eingeführt werden. Die Initiative verlangt, dass alle geeigneten Flächen von Gebäuden und Anlagen mit Photovoltaikanlagen ausgestattet werden. Es handelt sich also nicht bloss um eine Solarpflicht auf den Gebäudedächern, sondern auch die Fassaden sollen entsprechend ausgestattet werden müssen. Bei Neubauten und umfassenden Sanierungen wie Dachrenovierungen soll diese Regelung spätestens ein Jahr nach Annahme in Kraft treten. Bestehende Gebäude sollen nach spätestens 15 Jahren vollständig ausgestattet werden.
In eine ähnliche Kerbe schlagen auch einige Kantonsregierungen. Innerhalb der nächsten 15 Jahren sollen alle Dächer mit einer Fläche von 300m2 auf Solarenergie umgerüstet sein, lautet die Forderung etwa im Kanton Zürich. Dies beträfe sowohl Neubauten (Solarpflicht besteht für diese bereits) als auch bestehende Objekte. Noch weiter möchte die zuständige Kommission des Kantonsrats gehen. Gemäss den aktuellen Beratungen soll zusätzlich eine Solarpflicht auf Fassadenflächen und grösseren Parkplätzen eingeführt werden. Ob diese Forderung im Rat oder bei einer allfälligen Volksabstimmung Bestand hätte, ist allerdings schwer abzuschätzen.
Die Regierung des Kantons Basel-Stadt will einen ähnlichen Kurs einschlagen. Ende April hatte sie ihre sogenannte «Solaroffensive» in die Vernehmlassung geschickt. Diese hat das Ziel, die bestehende Solarpflicht für Neubauten auch auf Objekte im Bestand auszubauen, wobei eine Übergangsfrist von 15 Jahren gelten soll. Bis 2030 will die Regierung für diese Umrüstung finanzielle Fördermittel zur Verfügung stellen.
Bei Bestandsbauten nicht ohne weiteres umsetzbar
Auf die Solarpflicht bei Neubauten konnte die Immobilienbranche gelassen reagieren. Sogar so manche Eigenheimbesitzer statten ihr neues Einfamilienhaus mittlerweile mit einer Solaranlage aus. Komplexer zeigt sich die Lage bei den bestehenden Liegenschaften, bei denen Beschaffenheit von Dach beziehungsweise Fassade entscheidend ist. Während auf klassischen Ziegel- oder Bitumendächern die Installation kein Problem darstellt, ist eine solche auf Dächern mit Schiefer- oder Reetdeckung, die bei älteren Liegenschaften häufiger zu finden sind, wesentlich aufwändiger. Ebenfalls relevant ist die statische Belastbarkeit des Daches. Anbieter von Solaranlagen raten bei Dächern, die älter als 25 Jahre sind, zu einer Überprüfung.
Weiter stellt sich bei Solaranlagen auf Bestandsbauten allgemein die Frage, wie die Solaranlage in den Sanierungszyklus des Gebäudes passt. Eine Solaranlage hat eine durchschnittliche Lebensdauer von 30 bis 40 Jahren. Das heisst bei älteren Liegenschaften, kann so eine Photovoltaikanlage unter Umständen länger halten als das Dach. Die Anlage dann abzumontieren und danach wieder auf das neue Dach zu installieren ist heikel. Die Anlage kann dabei sogar Schaden nehmen.
Das bedeutet also, dass es bei Bestandsbauten mehr braucht, als einfach ein paar Module auf das Dach zu schrauben. Und der ganze Mehraufwand kostet Geld, sehr viel sogar. Eine Studie der ZHAW kommt zum Schluss, dass Investitionen in Höhe von 53 Milliarden Franken nötig wären, um eine Stromproduktion aus Photovoltaikanlagen auf Schweizer Hausdächern von 34 TWh/a zu erreichen.
Ein Muster der Schweizer Energiepolitik
Eine grossangelegte Solaroffensive, ob nun auf Bundes- oder Kantonsebene, wird massiv Geld kosten, wie die obigen Ausführungen dargelegt haben. Die Kernfrage wird also lauten, wer das ganze Projekt bezahlt. Aufgrund der hohen Kosten könnte der Solaroffensive dasselbe Schicksal blühen wie den Genfer Grenzwerten. Die Genfer Regierung beschloss per Verordnungsweg die im Gesetz vorgesehenen Grenzwerte für den Energieverbrauch von Gebäuden um beinahe die Hälfte abzusenken und die Sanierungsfristen erheblich zu kürzen. Erst nach langem hin und her konnte man sich schlussendlich im Februar 2024 auf einen Kompromiss einigen. An den Zielen änderte sich kaum etwas, aber dafür wurde umso grosszügiger in den Fördertopf gelangt. Insgesamt 350 Millionen Franken wurden den Eigentümerinnen und Eigentümern in Form von Subventionen zugesprochen.
Es ist ein altbekanntes Muster: Es beginnt mit einem ambitionierten Projekt mit strengen Vorgaben, bis sich politischer Widerstand regt. Das Resultat ist entweder eine stark abgespeckte Version der Ursprungsidee oder eine grosse Menge an staatlichen Geldern, um die Kritiker zu besänftigen. Oft ist es auch eine Kombination aus beiden, wie beispielsweise beim Mantelerlass. Ob dies auf die Dauer nachhaltig und zielführend ist, wird sich zeigen. Vermutlich wäre es ratsamer, von Anfang an mit moderateren Forderungen einzusteigen und über den traditionellen Gesetzesweg zu gehen, anstatt mittels Verordnung Neuerungen anzustossen. So könnten strittige Punkte bereits geklärt werden, bevor die neuen Regeln in Kraft treten.
Fazit
Bund und Kantone möchten in punkto Eigenstromerzeugung nun Ernst machen, auch bei den Bestandsbauten. Doch gerade bei besonders alten Bauten ist eine Umrüstung zur Photovoltaik mit grösseren Herausforderungen verbunden und will gut geplant sein. Helfen könnten beispielsweise Sonderregelungen bei den Fristen zur Umrüstung der Gebäude, die es Eigentümern erlaubt, die Installation der Solaranlage auf den Sanierungszyklus ihrer Liegenschaft abzustimmen.