Das Gesetz über Geschäftsmieten soll eine Prozesslawine verhindern

Das Covid-19-Geschäftsmietegesetz regelt die Mietzahlungen von Betrieben, die während der Lockdown-Phase ihr Geschäft schliessen mussten. Dr. Armin Zucker ist Gründer des Verbandes für Geschäftsmieter. IAZI-Quarterly hat ihn gebeten, das Parlamentsgeschäft aus seiner Sicht zu erläutern.

IAZI-Quarterly: Derzeit ist ein Bundesgesetz in Beratung über die Aufteilung der Geschäftsmieten während der Lockdown-Phase zwischen Mieter und Vermieter. Bereits im Vorfeld gab es dazu einige Kritik seitens der Vermieter. Prinzipiell: Ist das Gesetz aus Ihrer Sicht ein gangbarer Weg, um diesen Konflikt zu lösen?

Dr. Armin Zucker: Die Geschäftsmieter haben Anspruch auf eine Mietherabsetzung von mehr als 60 % bereits unter geltendem Miet-Recht. Doch wenn sich der Vermieter weigert, so muss prozessiert werden. Das kostet Zeit und Geld. Deshalb ist das Covid-19-Geschäftsmietegesetz mit 40 % Mietzahlung des Mieters und 60 % Erlass des Vermieters ein politischer Kompromiss, der eine Prozesslawine verhindert und rasch den Rechtsfrieden herstellt.

Der Staat hat bereits an Unternehmen Gelder ausbezahlt, um die Folgen des Lockdowns im März abzumildern. Warum braucht es nun zusätzliche Regelung im speziellen Fall der Geschäftsmieten?

Die Regelung gilt für die zwangsgeschlossenen Betriebe. Sie erlitten einen Totalausfall im Lockdown. Leeres Geschäft und volle Miete? Das kann nicht aufgehen, und es verstösst gegen Gesetz und gesunden Menschenverstand.

Mieter, Eigentümer und Gesetzgeber haben sich in vielen Kantonen schon geeinigt bezüglich der Geschäftsmieten. Bei diesen Lösungen wird meistens die Last verteilt zwischen Mieter, Vermieter und der öffentlichen Hand. Die Belastung des Vermieters beträgt nie mehr als 50 Prozent. Warum braucht es jetzt noch ein separates Gesetz?

Nur in wenigen Kantonen vor allem in der Westschweiz gab es solche Lösungen. Etwa die Hälfte unserer Mitglieder steckt in der Sackgasse mit dem Vermieter. Die Asymmetrie der Kräfte zwischen den Parteien und die Hoffnung auf das Gesetz hält die Geschäftsmieter bislang von Prozessen zurück. Darum braucht es ein Bundesgesetz. Das Bundesgesetz ist kurz und bündig mit nur sieben mietrechtlichen Artikeln.

Gibt es im Gesetz Hinweise darauf, dass das Gesetz auch in einer zweiten oder sogar weiteren Lockdown-Phase Gültigkeit haben könnte?

Das zurzeit sich in Beratung befindliche Gesetz wird ausschliesslich Anwendung finden auf Schliessungen bzw. Einschränkungen zwischen dem 17. März 2020 und 21. Juni 2020. Das steht so im Gesetzentwurf.

Bei Nettomietzins zwischen CHF 15’000 – 20’000 können beide Parteien unilateral auf die Gesetzesanwendung verzichten. Wird das Gesetz in diesem Rahmen überhaupt zur Anwendung kommen? Wieso wurde diese Ausstiegsklausel beschlossen?

Die Ausstiegsklausel war ein Kompromiss zu Gunsten der Vermieter. Sie sollten die Möglichkeit haben, bei höherer Miete eine eigene Vereinbarung zu treffen oder allenfalls den Rechtsweg zu wählen.

Muss das neue Gesetz als Präzedenzfall verstanden werden? Werden die Betreiber von Geschäften auch in Zukunft auf Mietzinsreduktionen bestehen können, sofern äussere Einflüsse ihre Geschäfte beeinträchtigen? Man denke da an nasse Sommer in den Tourismusgebieten, Skigebiete die aufgrund des Klimawandels keinen Schnee mehr haben?

Das neue Gesetz schafft keinen Präzedenzfall. Denn betroffene Mieter haben bereits gemäss Mietrecht Anrecht auf eine Mietzinsreduktion. Der Vermieter, der einen Geschäftsraum vermietet, garantiert de facto seinem Mieter, dass er die Mietsache für geschäftliche Zwecke nutzen kann. Der Lockdown vereitelt das, weshalb die gegenseitigen Leistungen in eine Schieflage geraten. Was Ihre Beispiele angeht – der Vermieter garantiert weder das Wetter noch das Klima, wohl aber die Nutzbarkeit der Räume zur Führung des Betriebes.

Wie beurteilen Sie die Kritik, dass die Verfassungsmässigkeit des Gesetzes nicht klar ist und dass mit dem Gesetz verfassungsmässig verbriefte Eigentumsrechte verletzt würden?

Die Klärung einer umstrittenen Zivilrechtsfrage geht immer zulasten oder zugunsten einer Partei. Das ist die Essenz des Zivilrechts. Um verfassungswidrig zu sein, müsste das Gesetz eine besonders schwere Einschränkung darstellen. Die Befugnis, den Mietzins zu fordern, wird den Vermietern nicht entzogen, sondern sie wird bloss im Umfang von 60 % während knapp zwei Monate eingeschränkt. Dem Zivilgesetzgeber kommt ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu, wie er das Rechtsverhältnis für Miete festlegt. Deshalb ist das Gesetz klar verfassungskonform, was Dr. Felix Uhlmann, Professor für Verfassungs- und Staatsrecht an der Universität Zürich in seinem Gutachten bestätigt.

Gibt es Vermieterkategorien für die die jeweiligen Ausfälle gemäss dem Bundesgesetz schmerzlicher sind als für andere? Und gibt es andererseits Mieterkategorien, die mehr Nachteile erleiden als andere?

Die überwiegende Mehrheit der Vermieter verkraftet den Teilerlass während der 55 Tage Lockdown ohne Probleme. Leerstand und Mietausfälle werden mit 3 % Fluktuationsreserve eingerechnet. Der Erlass von 60 % Miete während des Lockdowns bewirkt eine Ertragsminderung von gerade 0.2 % auf die Lebensdauer einer Immobilie gerechnet. Das ist geringfügig im Vergleich zum Totalverlust der Geschäftsmieter im Lockdown und der existentiellen Notlage infolge der Pandemie.

Dem Vermieter kommt sodann die gemischte Nutzung zu Gute. Geschäftslokale liegen meistens im Erdgeschoss, darüber befinden sich Wohnungen oder Büros. Der Vermieter bezieht dafür weiterhin die ungeschmälerte Miete. Ausserdem sind die Finanzierungskosten historisch tief. Der kleine Ausfall der Vermieter wird schliesslich dank der eindrücklichen Wertsteigerungen im «Betongold» mehr als kompensiert. Für besonders betroffene Vermieter wird noch ein Härtefallfonds zur Verfügung gestellt.

Schmerzlich wäre die Ablehnung des Covid-19-Geschäftsmietegesetzes für diejenigen Vermieter, welche bereits einvernehmliche Lösungen mit ihren Geschäftsmietern abgeschlossen haben. Sie würden schlechter fahren als die unnachgiebigen Vermieter, welche auf Zeit spielten. Das wäre ein stossendes Ergebnis.

Auf der Mieterseite träfe das Scheitern des Covid-19-Geschäftsmietegesetzes das schwächste Segment, nämlich kleine und mittlere Geschäftsmieter mit kompromisslosen Vermietern. Sie wären gleich zweifach benachteiligt. Einmal gegenüber denjenigen Mietern, deren Vermieter Reduktionen gewährten. Und zweitens gegenüber den finanzstarken Geschäftsmietern. Diese werden ihre Rechte vor Gericht durchsetzen, denn sie haben im Gegensatz zum Kleingewerbe die Finanzmittel zum Prozessieren.

Wird den Ungleichheiten der entsprechenden Kategorien genügend Rechnung getragen mit dem Gesetz?

Das Gesetz öffnet vielerlei Möglichkeiten für sachgerechte und dem Einzelfall angepasste Lösungen:

  • Einigungen der Parteien und Entscheide gehen dem Gesetz vor;
  • Beide Seiten können das Gesetz zwischen CHF 15’000 – 20’000 Monatsmiete für nicht anwendbar erklären und eigene Lösungen finden oder prozessieren;
  • Für Parteien mit Mieten über dem Anwendungsbereich bietet das Gesetz einen Anhaltspunkt für mögliche gütliche Lösungen;
  • Für Vermieter, die in eine Notlage geraten, besteht ein Härtefall-Fonds.

Das Gesetz ist als dringliches Bundesgesetz geplant. Die Ratsmitglieder können das Gesetz per sofort in Kraft setzen. Ein allfälliges Referendum kommt erst nachträglich zum Zug. Angenommen das Geschäftsmietengesetz tritt am 1. Januar 2021 in Kraft (Vermieter zahlt rückwirkend an Mieter aus) und das Referendum ist erfolgreich – müssen die Mieter die erhaltenen 60% Mieterlass dann an ihrem Vermieter zurückzahlen? Wie schätzen Sie dieses kritische Zeitfenster juristisch ein?

Selbst bei Scheitern des Gesetzes durch ein Referendum bleibt dem Mieter der gesetzliche Herabsetzungsanspruch erhalten. Eine Rückzahlungspflicht des Mieters gäbe es nur, wenn der Mieter auf den Prozess verzichten würde.

Zur Person

Dr. Zucker hat sich Zeit seines beruflichen Lebens als Anwalt stark im Mietrecht spezialisiert und er hat in dieser Eigenschaft unzählige Prozesse, primär für Geschäftsmieter, geführt. Er hat den Verband der Geschäftsmieter aufgebaut, wo er als Vizepräsident immer noch aktiv ist. Ausserdem ist er als Dozent im Bereich des Geschäfts-Mietrechts bei der SVIT Real Estate School, am Europa­institut der Universität Zürich, Hochschule für Wirtschaft Zürich und IAZI tätig gewesen.

Die im Interview getroffenen Aussagen geben die Meinungen des Interviewten wider und stellen nicht unbedingt die Position der IAZI AG dar.
Michel Benedetti
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