Das Interview: Die Responsive City spricht zum Menschen

Die einen denken bei einer Smart City an eine vollautomatische Infrastruktur. Für die anderen soll die Smart City die globale Erwärmung eindämmen helfen. Wann ist eine Stadt wirklich smart? IAZI Quarterly hat sich darüber mit Prof. Dr. Gerhard Schmitt unterhalten. Gerhard Schmitt ist Professor für Informationsarchitektur an der ETH Zürich und Direktor des Singapore-ETH Centre in Singapur.

IAZI Quarterly: Was fasziniert Sie an Städten?

Prof. Dr. Gerhard Schmitt: In der Stadt spüre ich eine andere Energie. Es finden da viel mehr Transaktionen und Interaktionen statt als auf dem Land. Wer das liebt, lebt gerne in einer Stadt. Allerdings braucht es immer auch einen Gegenpol. Also zur Hektik der Stadt, braucht es die Ruhe der Nicht-Stadt.

In Ihrem Büro auf dem Campus Hönggerberg ist dieser ruhige Gegenpol ja verwirklicht.

Dieser Campus ist sicher ein gutes Beispiel für eine moderne Verstädterung. Die Gebäude und Transaktionen sind durchaus urban, wenn auch die extrem hohe Dichte fehlt, die ja eine Stadt normalerweise ausmacht.

Sie sprechen oft auch von der Responsive City. Wie unterscheidet sich eine Responsive von einer Smart City?

Die Responsive City ist eine neuere Entwicklung und kommt nach der Smart City. Die Responsive City richtet sich wieder an die Menschen, das heisst an Gruppen, Personen oder an ein Quartier, wohingegen bei der Smart City die Technik im Vordergrund steht. Technik ist immer die Grundlage einer modernen Stadt, doch die Stadt muss auf die Menschen reagieren, das heisst für die Menschen eine Response geben. Und dabei ist es nicht der Mensch, der sich wie üblicherweise immer anpassen muss. In der Fachwelt allerdings sprechen noch viele vorwiegend von Smart Cities. Effektiv gibt es auch noch keine deutsche Bezeichnung für Responsive City.

Ist denn die Technik in den Städten schon völlig ausgereift?

Nein. Aber in 15 bis 20 Jahren werden die technischen Fortschritte unsere Umwelt stark verändern. Also in zwanzig Jahren sind zum Beispiel die Verkehrsampeln nicht mehr durch Smart-Technik gesteuert, sondern sie werden ganz und gar verschwinden. Stattdessen werden die Autos dann miteinander kommunizieren.

Es gibt ja bereits vollautomatisierte Städte wie die südkoreanische Songdo City. Die Einwohner haben einen erhöhten Komfort, müssen aber im Gegenzug viele Daten preisgeben.

Ich habe nur sehr wenige Menschen getroffen, die nur nach Songdo City gezogen sind, weil jetzt die Müllabfuhr automatisiert ist oder die Parkplatzsuche smart ist. Diese Menschen ziehen dahin, weil es jetzt noch günstiger ist und die Luft viel besser ist. Ganz wenige Teile sind erst gebaut.

Aber auch den älteren Städten, die sozusagen aus dem Nichts entstanden sind wie zum Beispiel Brasilia oder das indische Chandigarh, haftet doch immer etwas Künstliches an.

Völlig neue Städte sind und werden immer noch sehr kritisch betrachtet, vor allem von Europäern. Aber an sich sind das sehr mutige Entscheidungen. In Europa gibt es kaum Neugründungen, weil hier der Bevölkerungsdruck nicht so hoch ist wie auf anderen Kontinenten. Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass die Weltbevölkerung bis 2050 um 2.5 Milliarden Menschen zunimmt. Diese Menschen werden in den entwicklungsstarken Kontinenten wie zum Beispiel Afrika oder Asien vor allem in die Städte ziehen. Für diese Menschen reichen die bisherigen Städte nicht aus, sodass wir immer mehr neue Städte entstehen werden sehen.

Wie können denn Menschen in den Städteplanungsprozess integriert werden?

Vor 15 Jahren haben wir auf dem Hönggerberg den Campus Science City realisiert. Eigentlich war dieser Standort bei den Studierenden vorher sehr unbeliebt. Es gab keine Läden, keine Cafés und keine Studentenwohnungen. Bis zu 6000 Menschen kamen am Morgen her und fuhren am Abend wieder weg. Mit dem Science City Projekt wollten wir das Gelände so verbessern, dass es wirklich zu einem Campus werden sollte. Als wir mit dem Projekt an die Öffentlichkeit gingen, kam es zu Protesten von den Anwohnern, weil sie ihr Naherholungsgebiet gefährdet sahen. Da ist uns bewusst geworden, dass wir diese Menschen in die Planung einbeziehen mussten. Von den Anwohnern kamen dann übrigens auch die besten Ideen. Ich habe in dieser Zeit sicher mit 3000 Menschen gesprochen. Das hat sich gelohnt, weil es keine einzige Einsprache gab.

Wie relevant sind Big Data und ähnliche Technologien für die Smart Cities?

Die sind hundertprozentig relevant. Big Data liefert die Grundlage für evidenzbasierte Entscheidungen, indem bestehende und frühere Situationen analysiert werden. In unserem Projekt “Big Data Informed Urban Design and Governance” wollen wir zusätzlich zur retrospektiven Sicht fortgeschrittene Data Analytics in die Städteplanung integrieren. Nach unserer Ansicht wird dies die Lebensqualität und Resilienz von Städten direkt verbessern. Wir untersuchen beispielsweise das Verhältnis zwischen Wohnen und Arbeiten. Meistens lässt sich mit grösster Wahrscheinlichkeit sagen, wo und wann es einen Verkehrsstau gibt. Weil die traditionellen Städte so geplant sind, dass man in der City arbeitet und im Vorort wohnt. Nehmen wir die Science City auf dem Hönggerberg. Hier haben wir schon früh gewusst durch Verkehrserhebungen, dass es am Morgen und Abend Spitzenbelastungen mit den Bussen und Fahrrädern gibt. Darum haben wir gesagt: Jeder Studierende, der hier wohnt, ist ein Problem weniger. Hier handelt es sich um Small Data. Aber nehmen sie Zürich mit 400’000 Einwohnern oder Singapur mit 5 Millionen oder Shenzen mit 25 Millionen Einwohnern. Das skaliert sehr schnell und die Probleme auch. Mit Big Data, also mit evidenzbasierten Entscheidungen lassen sich eigentlich sehr viele Fehler vermeiden.

In Songdo City können die Einwohner über den Bildschirm die Behörden kontaktieren. Was aber auch umgekehrt funktionieren müsste. Automatisch denkt man dabei an Big Brother, das heisst die Kontrolle durch einen Überwachungsstaat.

Ja, das ist so. Dessen ist man sich auch bewusst in Songdo City. Hier geht es wirklich um die richtige Datennutzung. In Songdo City gibt es verschiedene Arten von Daten. Da sind mal die offiziellen Daten, die von der Regierung erhoben werden, die genau kalibriert sind. Zum Beispiel ein Katasterplan. Dann gibt es Daten, die halboffiziell erhoben werden wie Verkehrsdaten, Parkdaten, Mülldaten, Wasserverbrauchsdaten usw. Und schliesslich gibt es da die absolut kommerziellen Daten. Jeder gibt ja bereits über Internetdienste wie Alexa oder andere Tools seine Daten preis. Durch die Verbindung der offiziellen, halboffiziellen und kommerziellen Daten lässt sich das Leben sehr angenehm gestalten. Gleichzeitig ist es die Aufgabe des Staates, dem Bürger dabei zu helfen, seine Daten zu schützen, denn alleine schafft er das nicht.

Wie werden es denn die grossen Megametropolen wie Mexiko City oder São Paulo schaffen, mehr responsive oder smarter zu sein?

Ich glaube, diese Städte könnten lebenswerter werden. Es muss eine grössere Durchmischung von Wohnen und Arbeiten in der Stadt stattfinden. Diese Trennung zwischen Stadt und Vorstadt wird hinfällig. Aber die wachsende Weltbevölkerung wird in neue Städte ziehen müssen, die noch nicht gebaut sind. Das ist das grösste Bauvorhaben der Menschheitsgeschichte.

Michel Benedetti
Ihr Medienkontakt
Michel Benedetti