Das Interview: Die Schweiz ist ein Land der Mieter

Gibt es in der Schweiz zu wenig preisgünstige Wohnungen? Was ist unter «preisgünstig» überhaupt zu verstehen? Sind die bisherigen mieterfreundlichen Gesetze und Vorstösse auf Gemeindes- und Kantonsebene nicht schon ausreichend? Die Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen», über die am 9. Februar an der Urne entschieden wird, dürfte gemäss unserem Immobilien-Experten Simon Hurst eine reelle Chance haben, angenommen zu werden.

IAZI-Quarterly: Es gibt bereits zahlreiche politische Vorstösse auf Gemeinde- und Kantonsebene zur Förderung von günstigeren Wohnungen. Will die Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen», die am 9. Februar zur Abstimmung kommt, alle bisherigen Initiativen ersetzen oder ergänzen?

Simon Hurst: Gemäss Volksinitiative soll in Zukunft mindestens jede zehnte Wohnung schweizweit von gemeinnützigen Wohnbauträgern wie Genossenschaften erstellt werden. Diese Forderung kommt zur bereits bestehenden Wohnbauförderung hinzu. Je nach Region wirkt sich dies unterschiedlich aus: In Gemeinden, in denen bereits heute gemeinnütziger Wohnbau betrieben wird, erhöht sich bei einer Annahme der Druck, noch mehr zu tun. Jene Kantone hingegen, die bisher kaum aktiv fördern, müssten wohl gegen ihren Willen eine neue Wohnbaustrategie entwickeln.

Bräuchte es nicht aus Ihrer Sicht andere Ansätze, um preisgünstigen Wohnraum zu schaffen als die staatliche Holzhammermethode?

Grundsätzlich gibt es in der Schweiz keinen Mangel an Wohnraum. In den Zentren ist die Situation hingegen tatsächlich angespannt. Gerade für Haushalte mit bescheidenem Budget ist es schwierig, eine passende und bezahlbare Wohnung zu finden. Städte wie Zürich, Genf oder Basel treiben den gemeinnützigen Wohnbau deshalb bereits seit langem voran. Ob das Problem damit behoben wird, ist eine andere Frage. Auf jeden Fall scheint mir diese regional-punktuelle Förderung wirksamer als eine schweizweite Quote.

Sie haben beim letzten IAZI Finanz- und Immobilienkongress im November prognostiziert, dass die Initiative angenommen wird. Wie kommen Sie auf diese Aussage?

Die Schweiz ist ein Land der Mieter und die Forderung nach «bezahlbarem Wohnraum» klingt sehr verlockend. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt zudem in Städten, also in einer der rund 160 Gemeinden mit mehr als 10‘000 Einwohnern, in denen die Mietpreise naturgemäss höher liegen als in der Peripherie. Für eine Annahme ist neben einem Volksmehr aber auch ein Ständemehr nötig. Lediglich in fünf Kantonen übertrifft der Anteil der Wohneigentümer jenen der Mieter. Die Chancen für eine Annahme der Initiative sind also auch diesbezüglich intakt.

Was wären die Folgen für den Immobilienmarkt, wenn diese Initiative angenommen würde?

Eine Abschätzung ist schwierig, da der Initiativtext nichts zur konkreten Umsetzung seitens Kantonen und Gemeinden sagt. Unmittelbar könnte es aber, wie bei der Zweitwohnungsinitiative, zu einem «Planungsendspurt» kommen: Um den Vorgaben zu entgehen, möchten wohl viele Bauherren ihre Projekte noch vor dem Inkrafttreten der Initiative umsetzen.