Der in der Schweiz vergleichsweise kühl und nass erlebte Sommer 2021 wird vor allem denjenigen lange in Erinnerung bleiben, die direkt von den Hochwassern und Unwettern Mitte Juli betroffen waren. Vielerorts richteten Starkregen, Überschwemmungen, Erdrutsche und durch Sturm beschädigte Bäume grosse Schäden an. Wohl dem also, der sich rechtzeitig mithilfe einer – in der Schweiz nicht überall obligatorischen – adäquat bemessenen Gebäudeversicherung gegen den Ernstfall abgesichert hat.
Gebäudeversicherung traditionell
Als Grundlage hierfür müssen zunächst die Kosten für einen Wiederaufbau des Gebäudes ermittelt werden, was üblicherweise auf Basis einer Begehung geschieht. Im Rahmen dieser Begehung werden zahlreiche für die Baukosten relevante Faktoren erfasst, u. a. das Raumvolumen, die Qualität der verwendeten Materialien sowie der Ausbaustandard fest installierter Elemente. Eine solche individuelle Schätzung ist mit hohem Aufwand verbunden und der Versicherungsnehmer muss grundsätzlich persönlich präsent sein.
Die Qualität dieser Schätzungen ist unterschiedlich: Die Differenz zwischen zwei durch unabhängige, qualifizierte Experten am gleichen Gebäude durchgeführte Schätzungen kann ohne Weiteres 20% betragen. Neben hohen Kosten für den Versicherer resultieren bis zur Verfügbarkeit der Schätzung zudem oft beträchtliche Wartezeiten. Bis die Schätzung vorliegt, kann keine definitive Police ausgefertigt werden.
Neuheit: IAZI-Tool zur automatisierten Gebäudeschätzung
Als Antwort auf diese Problemstellung hat IAZI in enger Zusammenarbeit mit dem Versicherungsunternehmen Mobiliar ein Webtool entwickelt, das Versicherungen und Endkunden eine vollständig digitale Gebäudeschätzung ermöglicht. Den Kern der Applikation bildet ein statistisches Modell, das anhand bekannter Versicherungssummen und der zugrundeliegenden Gebäudedaten aus der ganzen Schweiz kalibriert wurde. Analog zu den bekannten hedonischen Bewertungsmodellen für Marktwertschätzungen, die seit über 25 Jahren standardmässig von der Mehrheit der Schweizer Banken im Hypothekargeschäft eingesetzt werden, lassen sich so schnell, verlässlich und kostengünstig Schätzwerte ermitteln.
Schätzqualität und Wertkorrekturen
Die mithilfe des Gebäudeschätzungstools ermittelten Wiederaufbauwerte sind erwartungstreu und in ihrer Genauigkeit mit den Ergebnissen traditioneller Schätzungen vergleichbar. In Abhängigkeit der Objekteigenschaften liefert das Tool zusätzlich eine Aussage zur Schätzqualität. So können atypische Gebäude erkannt und wo erforderlich eine Expertenbeurteilung hinzugezogen werden. Für wertsteigernde Alleinstellungsmerkmale wie hochwertige Heizungsanlagen, Photovoltaikinstallationen oder Einliegerwohnungen besteht zudem die Möglichkeit, manuelle Wertkorrekturen vorzunehmen.
Detaillierte Funktionsweise und zentrale Features
Mit Eingabe und Bestätigung der Objektadresse werden im Hintergrund die adressspezifischen Lageinformationen geladen. Öffentlich verfügbare Informationen zum Gebäude (bspw. Baujahr oder Dachform) werden ebenfalls automatisch vorausgefüllt, wodurch sich der Erfassungsaufwand weiter reduziert. Die Vervollständigung der verbleibenden Objektinformationen erfolgt entweder im Rahmen des Beratungsgesprächs oder durch die Endkundin bzw. den Endkunden selbst. Per Knopfdruck lassen sich im Anschluss die hedonische Schätzung des Gebäudewiederaufbauwerts berechnen und das Schätzprotokoll als PDF-Datei generieren.
Im Tool stehen für jeden Arbeitsschritt Hilfestellungen zur Verfügung: Im Rahmen einer Quick Tour werden zunächst die wichtigsten Bestandteile der Applikation präsentiert. Bei Unsicherheit oder fehlenden Informationen zu einzelnen Feldern kann auf sogenannte Wizards zurückgegriffen werden, die auf Grundlage leichter zu ermittelnder Angaben nachvollziehbare Eingabewerte liefern. Jedes Eingabefeld ist zudem mit einem Infobutton versehen, über den ein Kurzbeschrieb angezeigt und bei Bedarf direkt auf den relevanten Abschnitt im Handbuch zugegriffen werden kann. Dort werden die jeweiligen Elemente im Detail erläutert und grafisch illustriert. Das Tool ist auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch verfügbar und kann mittels PC, Notebook oder Tablet verwendet werden.
Innovation und Kundennutzen
Durch die immense Vereinfachung und Beschleunigung des Schätzungsprozesses für typische Objekte ermöglicht das Gebäudeschätzungstool den gezielten Einsatz von Fachkräften für komplexe Sachverhalte und eröffnet Potenzial für signifikante Aufwand- und Kostenreduktionen – bei gleichzeitiger Erhöhung der Kundenzufriedenheit: Die Erfassung der für eine Schätzung notwendigen manuellen Eingaben im Beratungsgespräch nimmt nur wenige Minuten in Anspruch und verlangt kein Expertenwissen. Der Schulungsaufwand für den Versicherer ist gering, da das Tool explizit für die Verwendung durch Nutzerinnen und Nutzer ohne Vorkenntnisse im Immobilien- bzw. Gebäudeversicherungsbereich konzipiert ist. Die interaktive digitale Erfassung der zur Schätzung dienenden Daten gewährleistet Nachvollziehbarkeit und Transparenz.
Das Modell steht via Schnittstelle oder Web-Applikation allen kantonalen und privaten Versicherungsgesellschaften zur Verfügung und hat somit das Potenzial zur Branchenlösung. Der einzigartige Ansatz des Datenpooling hat den Vorteil, dass mit steigender Anzahl der Teilnehmer die Modellgenauigkeit weiter zunimmt und sich die Kosten pro Bewertung nochmals reduzieren. Mit dem Wegfall physischer Begehungen leistet die Lösung zudem einen wertvollen Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit.
Aktueller Stand und Ausblick
Das Gebäudeschätzungstool für Einfamilienhäuser ist seit Frühjahr 2021 bei der Mobiliar schweizweit erfolgreich im Einsatz. Die Akzeptanz ist sowohl bei Kundenberaterinnen und Kundenberatern als auch bei den Endkundinnen und Endkunden sehr hoch. Ein Modul für Mehrfamilienhäuser und Liegenschaften mit gemischter Nutzung befindet sich in Entwicklung und geht in Kürze ebenfalls live.