Neue Richtlinien für mehr Nachhaltigkeit: Wie geht es weiter?

Der Wandel zu einer nachhaltigen Finanzwirtschaft ist ohne privatwirtschaftliche Initiativen nicht zu bewältigen. Als Beispiel seien die beiden neuen Richtlinien zu Nachhaltigkeitskriterien in der Anlage- und Hypothekarberatung der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) erwähnt, die der Verband im Juni 2022 publizierte. Im folgenden Artikel wird diese Selbstregulierung anhand fiktiver Beispiele erläutert. Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich aus den Richtlinien und wie reagiert die Branche?

Was bedeuten die Nachhaltigkeits-Richtlinien für die Kunden?

Beispiel 1: Energetische Sanierung und Heizungsersatz

Frau Selimi trifft sich mit ihrer Bankberaterin. Sie würde gerne eine Hypothek aufnehmen, um sich endlich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen. Sie hat auch bereits ein Objekt im Kanton Zürich im Blick. Die Kundenberaterin fragt, ob sie sich bereits Gedanken bezüglich der Energieeffizienz gemacht habe. Tatsächlich hat sie sich überlegt, auf das neue Haus eine Solaranlage montieren zu lassen. Ihre Beraterin hält dies für eine gute Idee, rät ihr aber zuerst die bestehende Ölheizung, die in die Jahre gekommen ist, durch eine Wärmepumpe zu ersetzen. Einerseits könnte sie hierfür beim Kanton Fördermittel in Höhe von mehreren Tausend Franken beantragen. Andererseits würden Frau Selimi dann in einem zweiten Schritt ebenfalls Fördergelder für ihre Solaranlage zustehen – diese werden nämlich nur für nicht fossil beheizte Gebäude vergeben.

Die Bankmitarbeiterin zeigt ihr sogleich den Link zur Broschüre des Kantons, wo sie alle wichtigen Informationen findet. Als Letztes erwähnt sie, dass eine Sanierung der Gebäudehülle zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls sinnvoll wäre. Dies würde nicht nur den Wärmeverbrauch des Gebäudes und somit die Heizkosten langfristig senken, sondern auch zur Werterhaltung des Hauses beitragen. Und damit nicht genug: Die Beraterin teilt Frau Selimi mit, dass ihre Bank Hypotheken zur Finanzierung von energieeffizienten Investitionen neu zu vorteilhafteren Zinsen anbietet.

Beispiel 2: Nachhaltiges Anlegen

Herr Wong hat sich entschieden, seinen diesjährigen Bonus clever anzulegen. Im Gespräch mit der Anlageberaterin seines Vertrauens kommt die Frage auf, wie es um seine Anlagepräferenzen bezüglich der Nachhaltigkeit stehe. Die Beraterin erklärt, dass ESG-Investments nicht nur einen positiven Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft haben, sondern auch solide Renditen aufweisen können. Herr Wong, der philanthropisch veranlagt ist, möchte gerne mit seinem Investment bedürftigen Menschen in Entwicklungsländern eine Perspektive bieten und zur Verbesserung ihrer Lebensumstände beitragen. Zusätzlich fände er es schön, wenn das unterstützte Produkt auch der Umwelt etwas Gutes tun würde.

Seine Anlageberaterin hat die perfekte Lösung: Sie rät ihm zu einem Investment in ein Unternehmen, das in Kolumbien aus recyceltem Plastikmüll Häuser in Quartieren mit hoher Armutsquote baut. Herr Wong hält dies für ein sinnvolles Projekt und würde gerne darin investieren. Er möchte sein Portfolio jedoch etwas diversifizieren und deshalb noch in weitere, ähnliche Projekte investieren. Seine Beraterin nimmt seinen Wunsch zur Kenntnis und versichert ihm, dass sie seine ESG-Anlagepräferenzen sauber festhalten und passende Anlagelösungen finden wird. Zudem könne er sich jederzeit bei der Bank erkundigen, inwiefern die gewählten Investments seinen ESG-Präferenzen entsprechen.

Was bedeuten die neuen Nachhaltigkeits-Richtlinien für die Anbieter?

Die vorher erwähnten Beispiele sind natürlich fiktiv. Besonders im zweiten Anlagegespräch ist es für die Kundenberaterin nicht einfach, aus den Tausenden von NGOs die für den Kunden perfekte Lösung herauszusuchen. Ebenso braucht es wohl eine gehörige Portion Enthusiasmus, um wie die Beraterin im ersten Gespräch alle möglichen Fördermittel im Handumdrehen zu präsentieren. Tatsächlich wird die Umsetzung der neuen Selbstregulierung die Finanzinstitute vor einige Herausforderungen stellen. Die wenigsten Kundenberater*innen dürften mit allen Details zu Energie und Nachhaltigkeit vertraut sein. Erschwert wird dieser Umstand insbesondere durch die Vielzahl von unterschiedlichen Anforderungen und Förderprogrammen in den einzelnen Kantonen, Stichwort Föderalismus. Hier stellt sich somit für die Unternehmen die Frage, ob das zusätzlich nötige Wissen intern aufgebaut werden soll oder ob man sich auf externe Partner abstützt.

Fraglich bleibt auch, wie Beratende künftig mit der Kundschaft umgehen sollen, die keine ESG-Präferenzen hat oder diese nicht äussern will. Zudem verlangen die Vorgaben von den betroffenen Instituten interne Umstrukturierungen, darunter die Anpassung von Beratungsprozessen, Preismodellen und Überlegungen bezüglich Datenverfügbarkeit und Wahl der zu verwendenden Nachhaltigkeitsstandards. Besonders bei bestehenden Finanzierungen im Hypothekargeschäft ist das Verbesserungspotenzial am grössten, eine Veränderung dort aber auch am schwersten. So müssen, im Gegensatz zu neuen Objekten, Informationen zur Energieeffizienz oft erst noch beschafft werden.

Nichtsdestotrotz setzen die neuen Regelungen ein wichtiges und richtiges Signal, welches die Glaubwürdigkeit des Schweizer Finanzplatzes zusätzlich erhöht. Die Vorgaben lassen den Mitgliedern genug Spielraum zur Differenzierung, beispielsweise durch das Anpassen ihrer Konditionen. Dadurch können sich die Finanzinstitute nicht nur von ihren Konkurrenten abheben, auch könnten sich im dadurch entstehenden Wettbewerb die besten Methoden und Standards durchsetzen. Zudem machen effektive, brancheneigene Lösungen staatliches Eingreifen obsolet.

Ein Ausblick:

Die neuen Richtlinien sind mit Anfang dieses Jahres in Kraft getreten, nun gilt es diese umzusetzen. Dies geschieht zum einen mit der Einführung von Tools zur Messung der Energieeffizienz oder des Erneuerungsbedarfs, wie sie beispielsweise IAZI entwickelt hat. Zum anderen mit Aktivitäten in der Aus- und Weiterbildung. So beginnt beispielsweise ab Lehrstart 2023 die überarbeitete kaufmännische Grundbildung «Kaufleute 2023». Bei der Entstehung dieser Reform konnte die SBVg in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Umwelt und dem Bundesamt für Energie neue Leistungsziele in die Grundbildung integrieren, welche die Lernenden auf die neuen Anforderungen in der Kundenberatung vorbereiten. Aber auch die betroffenen Finanzinstitute investieren derzeit viel in die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden.

Schliesslich lohnt sich ein Blick auf weitere regulatorische Entwicklungen. So gelten seit 1. Januar 2023 die EU-Richtlinien zu den technischen Standards im Bereich der Klimaberichterstattung für Unternehmen («SFDR») und der EU-Taxonomie. Zudem tritt ab dem 30. September 2023 die Selbstregulierung zu Transparenz und Offenlegung bei Kollektivvermögen mit Nachhaltigkeitsbezug der «Asset Management Association Switzerland» (AMAS) in Kraft, welche die Richtlinien der SBVg durch Transparenzvorgaben auf Instituts-, Produkt- und Dienstleistungsebene ergänzen soll. Diese Beispiele zeigen, dass das Thema Nachhaltigkeit ein aktives Feld in der Finanzwirtschaft darstellt, welches die Branche auch in der Zukunft weiter beschäftigen wird.

Associate Consultant
Thierry Leu