Die Schweiz hat Aufholbedarf beim Ausbau der Solarenergie. Sie belegt im europäischen Vergleich einen der letzten Plätze bei der Pro-Kopf-Produktion von Solar- und Windstrom. Das auf den Schweizer Dächern und Fassaden liegende Potenzial hat jetzt auch die Politik erkannt. In den Kantonen wie auf Bundesebene werden bessere Anreizsysteme gefordert, die den Fortschritt beschleunigen. IAZI widmet sich in einer neuen Serie der Bedeutsamkeit und Dringlichkeit aktueller Energiefragen und deren Auswirkungen auf den Immobiliensektor. In diesem Artikel steht die Solarenergie im Fokus.
Der Ausbau erneuerbarer Energien ist das Kernziel der bundesrätlichen Energiestrategie 2050. Als Wasserschloss Europas gilt die Schweiz bei der Wasserkraft bereits als Vorbild. Nicht so in Sachen Solarenergie: Das nationale Energiegesetz setzt Richtwerte zum Ausbau der erneuerbaren Energien für die Jahre 2020 und 2035 fest. Eine Auswertung der Schweizerischen Energiestiftung zeigt, dass die Schweiz bei der Pro-Kopf-Produktion von Solar- und Windstrom im europäischen Vergleich auf Platz 24 von 29 liegt. Nur gerade 4.5% des Stromverbrauchs wurde 2020 mit Solarstrom gedeckt. Schlechter schneiden lediglich Tschechien, Ungarn, Slowenien, die Slowakei und Lettland ab. Es tut sich jedoch etwas.
Zwischen Januar und Oktober 2021 wurden über 18‘000 neue Photovoltaikanlagen angemeldet, eine Zunahme von rund einem Viertel gegenüber dem Vorjahr. Doch das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Gemäss dem Bundesamt für Energie könnte alleine auf Schweizer Hausdächern und an Fassaden mehr Strom erzeugt werden, als jährlich verbraucht wird. Zudem leisten erneuerbare Energien einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele und zur raschen Reduktion der CO2-Emissionen im Energiebereich.
Kantone diskutieren über Solarpflicht
Der geringe Ausbau der Solarenergie ist auch das Resultat einer bisher eher gemächlichen Förderung durch die Politik. Immer mehr Anstrengungen konzentrieren sich daher darauf, den Fortschritt auf kantonaler oder kommunaler Ebene voranzutreiben. Die meisten Vorstösse fordern einen Ausbau der Anreizsysteme. So werden in verschiedenen Kantonen Vergütungen für Netzeinspeisungen, eine einheitliche und faire Besteuerung von Photovoltaik-Anlagen sowie die Bewilligung von Solaranlagen im Meldeverfahren gefordert.
Doch immer häufiger werden auch Forderungen nach einer Pflicht zur Installation von Solaranlagen bei Neubauten und Dachsanierungen laut. Die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) sehen vor, dass sich neue Gebäude «ganzjährig möglichst selbst mit Wärmeenergie und zu einem angemessenen Anteil mit Elektrizität» versorgen. Es wird zwar nicht zwingend erneuerbare Energie verlangt, doch in der Realität dürfte es sich meist um Photovoltaik-Anlagen handeln, weshalb auch von einer indirekten Solarpflicht bei Neubauten gesprochen wird.
Über die Hälfte der Kantone haben bereits solche Vorgaben eingeführt. Im Rahmen der Überarbeitung der MuKEn wird auch eine Verschärfung der Solarpflicht bei Sanierungen diskutiert. Noch weiter geht die Berner Solarinitiative: Diese verlangt, dass künftig auf allen geeigneten neuen und bestehenden Bauten solare Wärme oder Solarstrom produziert wird. Mit dieser Solarpflicht wollen die Berner Grünen, die Schweizerische Vereinigung für Solarenergie (SSES) und die Energiewende-Genossenschaft das Solarpotenzial des Kantons Bern ausschöpfen.
Diverse Projekte auf Bundesebene
Auch auf Bundesebene geht es vorwärts in Sachen Solarenergie. Das Parlament hat im Oktober letzten Jahres entschieden, das auslaufende Einspeisevergütungssystem ab 2023 mit einmaligen Investitionsbeiträgen zu ersetzen. In Zukunft soll es höhere Einmalvergütungen sowie einen Winterbonus für Photovoltaik-Anlagen geben. Mit dem Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien soll deren Ausbau weiter beschleunigt und die Versorgungssicherheit im Winter gestärkt werden. Grosse Photovoltaikanlagen sollen mittels wettbewerblicher Ausschreibungen gefördert werden. Die bisherigen Richtwerte für die Jahre 2035 und 2050 sollen zu verbindlichen Zielen werden. Ausserdem wird Windenergie, Geothermie und Wasserkraft stärker unterstützt. Jedoch wurde bereits Kritik an der Vorlage laut: Kleine Solaranlagen würden in Zukunft weniger rentabel, wie eine Studie der Energie Zukunft Schweiz AG zeigte, die von der Schweizerischen Energiestiftung und Swissolar beauftragt wurde. Daher solle das Parlament noch einmal nachbessern.
Zusätzlich will der Bundesrat den Ausbau vorantreiben, indem die Investitionen für Photovoltaikanlagen auch bei Neubauten steuerlich abgezogen werden können und die Zulassung von Solaranlagen an Fassaden vereinfacht wird. Der Bundesrat hat im Februar 2022 eine entsprechende Vorlage zur Revision des Energiegesetzes in die Vernehmlassung gegeben. In diesem Rahmen möchte er ebenfalls herausfinden, auf welches Echo eine Pflicht für den Zubau von Solaranlagen bei Neubauten stösst. Eine solche Regelung ist jedoch stark umstritten, zumal die Kantone die Hoheit über den Gebäudebereich haben. Die Gegner*innen der Solar-Lobby wehren sich gegen die Solarpflicht oder auch gegen stärkere Förderprogramme. Um die Energieversorgung sicherzustellen wird stattdessen der Bau von neuen Gaskraftwerken oder die Aufhebung des Verbots von neuen Atomkraftwerken diskutiert.
Das IAZI Politik-Team verfolgt laufend die neusten Entwicklungen der Immobilienpolitik und bietet mit dem Polit-Monitoring einen Überblick über aktuelle politische Vorstösse, Trends und Projekte. In dieser Serie thematisiert IAZI jedes Quartal aktuelle Fragen der Energiepolitik.
Autor/in
Michel Benedetti
Senior Public Relations Manager
michel.benedetti@iazi.ch
Autor/in
Simon Hurst
Senior Consultant
simon.hurst@iazi.ch