Quo vadis Zweitwohnungen: Episode II

Bautätigkeit verschiebt sich Richtung Unterland

In der ersten Folge der Serie «Quo vadis Zweitwohnungen» hat IAZI-Quarterly die politisch-juristischen Aspekte der Zweitwohnungsinitiative nochmals aufgerollt. Die zweite Folge konzentriert sich auf die Auswirkungen in der Bauwirtschaft. Obwohl sich dieser Sektor im Bergkanton Graubünden resilient gezeigt hat, gibt es auch einen Arbeitstransfer vom Hoch- zum Tiefbau, was längerfristig mit Risiken verbunden ist.

Der Graubündner Baumeisterverband (GBV) hat seinen Sitz im Industriegelände Chur-West. Vom Bürofenster des Geschäftsführers Andreas Felix lässt sich die Kantonshauptstadt von einer anderen Perspektive her betrachten. Noch immer ist die ferne Skyline dominiert durch die Hochhäuser des Architekten Thomas Domenig, mit denen Letzterer die Modernisierung der Stadt in den 1960er-Jahren vorangetrieben hat. Der GBV-Geschäftsführer verortet für den Besucher die Parzellen der zukünftigen Bauprojekte. «In Chur-West soll in den nächsten Jahren das neue Verwaltungszentrum des Kantons entstehen», sagt Felix. Nicht weit von Chur in der Nähe von Cazis, wird die neue Justizvollzugsanstalt den früheren Churer Altbau ablösen. Ein neuer Dynamismus ist hier spürbar, denn im letzten Jahr noch war der Verband mit Negativschlagzeilen konfrontiert.

Im Frühling letzten Jahres berichtete der Tages-Anzeiger über lokale Baufirmen, die sich von einem Teil der Belegschaft trennen mussten, und von Berggemeinden, wo die Bautätigkeit praktisch zum Erliegen kam. «Insgesamt haben wir immer mit einem Stellenverlust von 600 bis 800 Personen gerechnet», sagt Felix, «was sich dann auch bewahrheitet hat.» Im ersten Semester 2016 hingegen blieb die Zahl der Beschäftigungen laut den neusten Verbandszahlen stabil. «Ebenso stellen wir jetzt fest, dass die Bauunternehmen aus den Tourismusregionen, ihre Aktivitäten nun in neue Marktgebiete wie beispielsweise in das Bündner Rheintal verlegen.» Deshalb gebe es jetzt in Nordbünden einen sehr intensiven Wettbewerb.

Torschusspanik führte zu Hochkonjunktur

Unverkennbar ist, dass der Kollateraleffekt der Zweitwohnungsinitiative das Bündner Baugewerbe vor grosse Herausforderungen gestellt hat. Allerdings kam die richtige Konjunkturdelle erst einige Jahre nach der Volksabstimmung, was dann Marktbeobachter zwang, ihre anfangs pessimistischen Prognosen zu korrigieren. Im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2014 war das reale, das heisst um die Preisentwicklung bereinigte Investitionsvolumen im Bauhauptgewerbe rund 8 Prozent höher als im früheren Berichtszeitraum 2004 bis 2009. «In den Jahren 2011 und 2012 erlebte das Baugewerbe eine regelrechte Hochkonjunktur, denn in diesem Zeitraum sind auch die meisten Baubewilligungen erteilt worden», sagt Felix.

Dieser Konjunkturverlauf widerspiegelt sich unter anderem in den Auftragseingängen, einem Vorlaufindikator der Branche. Gemäss dem Schweizerischen Baumeisterverband betrugen die Auftragseingänge im Kanton Graubünden 2013 für den Wohnungsbau noch 358 Millionen CHF, im darauffolgenden Jahr dann 352 Millionen CHF und 2015 schliesslich 286 Millionen CHF. Über zwei Jahre hinweg beträgt der Rückgang also rund 20 Prozent.

Die Abhängigkeit von der öffentlichen Baunachfrage

Allerdings hat sich die Bündner Bauwirtschaft gegenüber dieser Entwicklung als genügend resilient erwiesen. Im neusten Mediencommuniqué des GBV ist verhaltener Optimismus spürbar. Die Auftragseingänge im ersten Semester 2016 nahmen mit +15.7% gegenüber dem Vorjahr wieder erheblich zu. Insbesondere im Wohnungsbau und im übrigen Hochbau vermochten jedoch die Zunahmen gegenüber dem Vorjahr die Rückgänge der Jahre 2013 und 2014 bei weitem nicht zu kompensieren. Langfristig rechnet der GBV aufgrund einer in Zusammenarbeit mit BAK Basel erstellten Studie mit einem starken Rückgang der Bauinvestitionen in den Bezirken Prättigau, Schanfigg-Davos und Surselva und einem Aufschwung in den Bezirken Bündner Rheintal und Viamala.

Auf einen zweiten für den Berg- und Tourismuskanton Graubünden sehr wesentlichen Faktor weist Andreas Felix hin. «Die Bedeutung des Tiefbaus und damit die Abhängigkeit von der öffentlichen Baunachfrage nimmt weiter zu», sagt der GBV-Geschäftsführer. So steuert der Tiefbau bei den Auftragseingängen eine Zunahme von +11.4% zum Gesamtergebnis bei. Ein permanentes Grossprojekt für den Tiefbau war und bleibt der Bahn- und Strassenverkehr im flächengrössten Kanton der Schweiz, der über 150 Täler und 937 Berggipfel verfügt. Verglichen mit dem Gotthard-Jahrhundertwerk mag der Neubau des Albula-Tunnels eher bescheiden wirken. Doch die veranschlagte sechsjährige Bauzeit macht deutlich, dass es sich hier keineswegs um einen Routinejob handelt. «Für das Streckennetz der Rhätischen Bahn», so Felix, «braucht es nach dem 100jährigen Bestehen der Privatbahn sehr viele Investitionen für die Unterhaltsarbeiten.» In konkreten Zahlen ausgedrückt sind 612 Brücken, 115 Tunnels, 42 Galerien, 103 Stationen und rund 1000 Weichen des 384 Kilometer langen Streckennetzes der RhB in Schuss zu halten. «Andererseits gewinnen beim laufenden Klimawandel die Schutzbauten gegen Schnee- und Schlammlawinen immer mehr an Bedeutung.» So sei gegenwärtig eine Strasse bei Domat-Ems durch Schutt und Schlamm bedroht, was den Bau eines Auffangbeckens nötig mache.

Wird es die Winterolympiade richten?

«Natürlich ist es erfreulich, wenn die öffentliche Hand in Tiefbauprojekte stark investiert», sagt Felix, doch längerfristig sei dies ein zweischneidiges Schwert. «Die volkswirtschaftliche Dynamik ist primär an der privaten Nachfrage ablesbar.» Wenn der Hochbau also an Bedeutung verliere, würde sich dies letztlich auf die Steuereinnahmen auswirken. Im Klartext: Die Investitionsfähigkeit des Kantons wird leiden, wenn die zur Verfügung gestellten Mittel langfristig keinen Return generieren. Laut Felix braucht es in der Bündner Wirtschaft einen «neuen Anschubimpuls». Ob es die Winterolympiade 2026 richten wird, für die sich die Bündner an der Wahlurne ausgesprochen haben? Oder braucht es einen drastischeren Strukturwandel, wenn jetzt vermehrt auch Schweizer Touristen die günstigeren All-in-Ferien im Tirol dem rustikalen Engadiner Charme vorziehen? Lesen Sie dazu die nächste und letzte Folge.

Die nächste Folge von «Quo vadis Zweitwohnungen»

In Folge 3 befasst sich IAZI-Quarterly mit den Wirkungen der Lex Weber auf den Tourismus. Einige Hotels haben sich vor der Initiative mit Zweitwohnungen querfinanziert. Doch was der Branche momentan mehr zusetzt sind die durch den Euro-Frankenschock ausbleibenden Touristen und die frühlingshafte Winter-Vorsaison.

 

 

Michel Benedetti
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