Die Themen Wohnungsknappheit und Nachhaltigkeit waren im politischen Jahr 2023 prominent vertreten. Doch während die einen in energetischen Vorschriften ein Hindernis für die Erstellung von günstigem Wohnraum sehen, prangern die anderen Sanierungen als Vorwand für Renditeoptimierung an. Handelt es sich tatsächlich um einen Zielkonflikt? Der folgende Artikel zeigt, dass Nachhaltigkeit und bezahlbarer Wohnraum durchaus vereinbar sind.
Woher stammt die Idee, dass man sich zwischen Nachhaltigkeit und bezahlbarem Wohnraum entscheiden müsse? Oft fällt bei linken Parteien, allen voran der SP, das Stichwort Verdrängung: Den Bewohnern einer Liegenschaft werden die Mietverträge gekündigt, um eine Totalsanierung oder einen Ersatzneubau durchzuführen. Damit verbunden ist meist eine Anhebung der Mieten, die für langjährige Bewohner unerschwinglich werden. So passiert im März 2023 in Zürich-Witikon. Hier wurde eine Siedlung durch einen Neubau ersetzt, allen 99 Mietparteien wurde gekündigt. Eine dieser Parteien war das Ehepaar Müller-Hiestand, deren Geschichte ein grosses Medienecho auslöste. Und das Schicksal ist kein Einzelfall. Erste Zahlen für den Kanton Zürich zeigen: 12 998 Personen mit normalen Mietverträgen wurden im Zeitraum 2014 bis 2019 wegen Abbruchs oder Renovation des Mehrfamilienhauses, in dem sie wohnten, verdrängt. Aufgrund von Bedenken, dass mehr Sanierungen zu mehr Leerkündigungen führen würden, hatte der Mieterverband keine Abstimmungsempfehlung für das Zürcher Energiegesetz im Jahr 2021 abgegeben, das vom Stimmvolk jedoch deutlich angenommen wurde.
Einige Kantone haben Gesetze erlassen, um Mieter vor solchen Leerkündigungen zu schützen. Dies mit der Folge, dass jegliche Investitionen in Mietwohnraum finanziell unattraktiv werden. So etwa die Wohnbaugesetze in den Kantonen Genf und Basel-Stadt, die bereits im letzten IAZI-Quarterly angesprochen wurden. Sanierung, Umbau und Neubau unterstehen einer Bewilligungspflicht mit anschliessendem Mietendeckel. Für die Gegenseite bietet das einige Munition (siehe Beitrag von Avenir Suisse). Weitere Kantone drohen nachzuziehen. Im Kanton Zürich steht die SP mit einer Volksinitiative zur Einführung derselben Instrumente in den Startlöchern. Die Handelszeitung warnt in diesem Kontext von einer «Genfisierung» der Schweiz.
Der Teufel liegt im Detail
Im Angesicht dieser hitzigen Debatte kommt der Eindruck auf, man müsse sich zwischen möglichst vielen günstigen und ökologisch sauberen Wohnungen entscheiden. Investitionen in den preisgünstigen Wohnungsbau und Nachhaltigkeit widersprechen sich jedoch nicht zwingend. Zumal ein solcher Trade-off, ebenso wie die Wohnungsknappheit, sich vor allem auf die Städte beschränkt. Die Frage ist, wie neue Wohnungen geschaffen werden. Das Raumplanungsgesetz schreibt ein Siedlungswachstum nach innen vor, also Verdichtung. Dies ist aus ökologischer Sicht sinnvoll, da unbebaute Landschaften geschützt und CO2-Emissionen durch Mobilität eingespart werden können. Zudem lassen sich Verdichtungsmassnahmen mit klimafreundlichen Bauweisen gut verknüpfen. Dazu gehört die Verwendung von Porenbeton. Dieser ist einerseits wesentlich weniger CO2-intensiv als herkömmlicher Beton. Betrachtet man den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes (ca. 50 Jahre), kommt Porenbeton auf eine CO2-Belastung von 334 Tonnen. Zum Vergleich: bei Holz sind es 319 Tonnen, wie die Xella Technologie- und Forschungsgesellschaft mbH vorrechnete. Andererseits ist der Bau von zusätzlichen Stockwerken mit Porenbeton aufgrund seines geringeren Gewichts statisch einfacher.
Doch bedeutet Verdichtung eben nicht auch Verdrängung? Hierzu hat die ETH im März eine Studie für den Kanton Zürich veröffentlicht. Die Ergebnisse legen nahe: Ja, aber nicht unbedingt. Verdichtung geschieht aktuell wesentlich häufiger durch Abbruch und Ersatzneubau, als durch Aufstockung, gemäss Studie 6,5-mal so oft. Dies führt laut Studienergebnissen eher zu Verdrängung, man erinnere sich nochmals an das Beispiel Zürich-Witikon. Eine Verdichtung hingegen kann auch ohne Auszug der Mieter stattfinden, zum Beispiel durch Etappensanierung. Das dies geht, demonstrierte ein 80-jähriger Vermieter, der seine 12 Wohnungen in Murten bei Bern in mehreren Etappen saniert hat. Alle Bewohner konnten in ihrem Heim bleiben. Zudem wird bei einem Umbau mehr von der bestehenden Bausubstanz genutzt, Stichwort graue Energie. Weiter zeigen die Ergebnisse der ETH-Studie, dass ökologische und soziale Begleitmassnahmen die Akzeptanz von Verdichtungsprojekten in der Bevölkerung signifikant erhöhen. Ähnlich sehen das zwei weitere ETH-Studien (Studie 1, Studie 2) aus dem Jahr 2022. Diese kamen zum Schluss: Klimaneutrale Projekte mit hohem Anteil an preisgünstigem Wohnraum werden eher akzeptiert. Zudem reduzieren starke Mieterhöhungen die Akzeptanz von Verdichtungen in den Städten erheblich. In anderen Worten: Verdichten Investoren nachhaltig und mit moderaten Mietzinserhöhungen, müssen sie mit weniger Einsprachen rechnen.
Und der Einwand, dass mehr Regulierung preisgünstigen Wohnraum verhindert? Auch hier ist eine differenzierte Betrachtung geboten, denn Vorschrift ist nicht gleich Vorschrift. Anstatt klare Vorgaben für Sanierungen im Gesetz zu verankern, werden diese in Basel und Genf per se einer Bewilligungspflicht unterstellt. Erschwerend kommt hinzu, dass etwa die Basler Wohnschutzkommission ihre Entscheide nicht veröffentlicht. Das heisst: Eigentümer müssen ihre Sanierungen planen, ohne zu wissen, ob ihr geplantes Vorhaben überhaupt durchgeführt werden kann. Wird dann eine Sanierung bewilligt, droht in den meisten Fällen ein strikter Mietzinsdeckel. Dadurch vergeht selbst sanierungswilligen Eigentümern aus Unsicherheit die Renovationslust. Eine bessere Regulierung müsste fairen Vermietern aber zugutekommen: Einerseits sorgen klare Vorgaben für gleich lange Spiesse und Planungssicherheit, andererseits erhöhen sie durch die Einführung ökologischer und sozialer Mindeststandards die Akzeptanz eines Bauvorhabens und reduzieren so das Risiko von Einsprachen.
Was es zu tun gilt
Wie kann es die Politik als besser machen? Dazu hat IAZI den Eigentümerverband «Casafair» befragt: «Leerkündigungen bei Sanierungen müssten im Baugesuch begründet werden, damit Sanierungen im bewohnten Zustand durchgeführt werden können (…). Mit Aufzonungen kann zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden, der dann die Sanierung finanziert, ohne dass die Mieten stark steigen müssen», hiess es in der Stellungnahme. Der Verband wies zudem auf die Wichtigkeit von Informationsplattformen hin. Hier sollten Eigentümer beispielsweise zu Sanierungen im bewohnten Zustand beraten werden.
Reicht dies aus, um energetische Sanierungen und Verdichtung zu ermöglichen und gleichzeitig eine Verdrängung zu vermeiden? Zu Lösungen der Verdrängungsproblematik meint Prof. Dr. David Kaufmann, Professor für Raumentwicklung an der ETH auf Anfrage: «Gerade an diesen Hotspots braucht es gemeinnützigen Wohnungsbau. Das heisst, es braucht eine aktive Bodenpolitik der Behörden». Als Beispiel hierfür nennt er die Abgabe von Bauland an gemeinnützige Träger. Einen weiteren spannenden Ansatz schlägt eine Studie von Debrunner & Hartmann zur aktiven Bodenpolitik aus dem Jahr 2020 vor. In sogenannten «Stadtentwicklungsverträgen» soll der Staat für einzelne Parzellen gewisse zonenrechtliche Beschränkungen lockern können, wenn dadurch preisgünstiger Wohnraum geschaffen wird. Mit einem solchen flexiblen Instrument könnte auch besser auf die Bedürfnisse einzelner Investoren Rücksicht genommen werden. Solche Verträge kommen bereits in der Stadt Basel zum Einsatz, wie bei der Entwicklung des Novartis Campus. Allerdings werden diese bisher nicht zur Förderung von preisgünstigem Wohnraum genutzt.
Trotz des Optimismus darf eines nicht vergessen werden: Ganz ohne Abstriche geht es nicht. Zu den Ansprüchen an die Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit des Wohnraums gesellen sich auch Forderungen nach Lärmschutz, Heimatschutz und natürlich die Interessenswahrung der Eigentümer. Die Politik wird also nicht darum herumkommen, Prioritäten zu setzen.