Gebäudevision der Kantone: eine föderale Kakophonie

Die Kantone drängen vorwärts bei der Immobilien-Energiepolitik. Die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich, kurz MuKEn, werden erneut totalrevidiert. Einige Kantone erlassen bereits neue Energiegesetze oder entwerfen ambitionierte Klimaschutzstrategien. Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach dem Gebäude der Zukunft auf den Grund. Ziel und Wille sind da, und der technologische Fortschritt stimmt optimistisch. Dennoch bleiben kleinere, aber nicht weniger wichtige Fragen, an denen die Energiewende scheitern könnte.

Seit rund zehn Jahren analysiert IAZI die Geschehnisse der Schweizer Immobilienpolitik auf sämtlichen Staatsebenen. Eine wichtige Erkenntnis: Im Energiebereich spielt die Musik in den Kantonen. Doch fehlt es dem Orchester der Kantone bislang an einem durchsetzungsfähigen Dirigenten und Taktgefühl.

Auf der einen Seite versucht die Konferenz Kantonaler Energiedirektoren (EnDK) wenigstens ein bisschen Harmonie in das Ensemble der Regulierungen zu bringen. Beim Regulierungspaket MuKEn handelt es sich um den kleinsten gemeinsamen Nenner energetischer Vorschriften im Gebäudebereich. Die aktuelle Version von 2014 besteht aus einem Basismodul und zusätzlichen freiwilligen Elementen.

Auf der anderen Seite gibt es mit den Kantonen und deren Stimmvolk aber auch 26 Solisten. Die einen spielen gemächlicher, wie Solothurn und Aargau, die das Basismodul der MuKEn auch nach zehn Jahren noch nicht umgesetzt haben. Andere wiederum spielen lauter und schneller, so etwa Zürich, Basel-Stadt, Genf, Neuenburg und Glarus, die beim Heizungsersatz ein Verbot fossiler Systeme beschlossen haben. Das Ergebnis ist eine föderale Kakophonie der Vorschriften. Dennoch schreitet das Ensemble ähnlich einer Marschkapelle voran.

Aus Mustervorschriften werden «Energiehub Module»

Im Februar 2023 verkündete EnDK-Präsident Roberto Schmidt, dass die MuKEn totalrevidiert werden. Als erstes musste ein moderner Name her. Neu heissen die Vorschriften «Energiehub Module». Die ersten Entwürfe im Bereich Eigenstrom- und Wärmeerzeugung haben es in sich: Fossile Heizungen dürfen spätestens ab 2030 nur noch im absoluten Ausnahmefall verbaut werden, und bei Dachsanierungen wird die Eigenstromerzeugung zur Pflicht.

Der Zeitplan ist ebenfalls sportlich, denn die Überarbeitung soll bis 2025 abgeschlossen sein. Neben bereits bekannten Bereichen wie Energieeffizienz sollen die neuen Vorgaben auch E-Mobilität und Digitalisierung umfassen. Wie die Gebäude der Zukunft aussehen sollen, verrät die EnDK in ihren energiepolitischen Leitlinien und auf ihrer neuen Website. Sie sollen zu Energiedrehscheiben werden, sogenannten Energiehubs: Dank perfekter Isolierung und modernster Technik wird der Energiebedarf minimiert, wobei der Strom für Wärmepumpe oder Elektroauto durch das Gebäude produziert wird.

It’s all about location, location, location.

Die EnDK scheint also eine klare Vision für die Gebäude der Zukunft zu haben. Doch so schön diese Zukunftsmusik auch klingen mag, bleibt die Frage, wie realistisch das Ganze ist. Der Wille scheint jedenfalls vorhanden zu sein. Wie bereits erwähnt, gibt die EnDK bereits ein eher sportliches Tempo vor, und gewisse Kantone gehen sogar noch weiter. Aber auch unter den privaten Eigentümern scheint es an Bereitschaft, die Energiewende mitzutragen, nicht zu mangeln. Dies hat man erst kürzlich in Genf gesehen. Dort hat die Regierung gemeinsam mit 15 verschiedenen Interessensverbänden, darunter auch Vermieter- und Mieterverbände, einen für alle Beteiligten akzeptablen Kompromiss hinsichtlich Gebäudesanierungen erzielt.

Hier ist vor gut zwei Jahren ein politischer Streit entbrannt, als die Regierung per Verordnungsänderung die Energiegrenzwerte massiv abgesenkt hat und gleichzeitig die Fristen für die Sanierung äusserst knapp ansetzte. Dieser scheint mit dem gemeinsam ausgehandelten Abkommen nun ein Ende zu nehmen. Erstaunlich dabei ist: Die ambitionierten Grenzwerte und deren laufende Anpassung bleiben unangetastet. Eigentümer kleinerer Wohnliegenschaften sollen jedoch mehr Zeit für die Sanierung ihrer Gebäude erhalten und der Staat greift ihnen dabei mit CHF 350 Mio. kräftig unter die Arme.

Damit schneidet der Kompromiss einen entscheidenden Punkt an: die Kosten. Denn alles, was der EnDK für die Gebäude von morgen so vorschwebt – Solarpanels, Wärmepumpe und Isolierung – kostet Geld. Bei einer Luft-Wasser-Wärmepumpe mit Innenaufstellung zum Beispiel belaufen sich die Anschaffungskosten je nach Model zwischen CHF 45’000–60’000[1], für eine Photovoltaikanlage für ein Einfamilienhaus muss mit rund CHF 30’000[2] gerechnet werden.

Hier ist es gleich wie beim Preis einer Immobilie: Die Lage ist entscheidend. Ob sich beispielsweise eine Solaranlage rentiert, hängt stark von dem lokalen Vergütungssatz und den Strompreisen ab. So kam eine Studie der ETH und der Uni Bern zum Schluss, dass während eine Solaranlage mit 12 kW Leistung in Rümlang (ZH) eine Rendite von rund 6 Prozent über 30 Jahre abwirft, man mit der gleichen Anlage in Kloten (ZH) mit einem leichten Verlust rechnen muss. Hinzu kommen auch noch die politischen Rahmenbedingungen.

Wofür man wie viel Fördermittel beantragen kann, variiert ebenfalls nach Kanton und Gemeinde. Auch kennen einige Kantone strenge Vorgaben, wie viel von den Sanierungskosten auf die Miete überwälzt werden darf. Hinzu kommt vor allem in den Städten noch der Lärm- und Heimatschutz, und, und, und.

Das bedeutet, dass die Machbarkeit entscheidend von den Rahmenbedingungen abhängt. Eigentlich ist es ganz simpel: Solange es sich wirtschaftlich rentiert, ist der Wille zur Sanierung meist vorhanden. Hier ist wiederum die Politik gefragt, denn diese hat hier einen entscheidenden Hebel. Je mehr Vorgaben sie für Renovierungen macht, umso mehr muss mit Subventionen nachgeholfen werden. Um eine Prioritätensetzung wird man also nicht herumkommen.

Der Fortschritt macht’s möglich

Politischer Wille und Wirtschaftlichkeit sind das eine. Der Stand der Technik ist in diesem Punkt jedoch auch matchentscheidend. Dieser definiert nicht nur, was geht und was nicht, sondern beeinflusst auch massgeblich die Kosten. Hier hat sich gerade in den letzten Jahren einiges getan. Auf ihrer Webseite stellt die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) die neusten Paradebeispiele der technologischen Entwicklung vor. Beispielsweise Isolationsnetze für Gebäudefassaden, die aus recyceltem PET hergestellt werden.

Selbst ursprünglich natürliche Baustoffe werden neu erfunden. Den Forschern ist es gelungen, mithilfe einer Säure das Lignin aus dem Holz zu entfernen. Dieser Stoff ist im Holz für die Stabilisierung verantwortlich, sorgt also dafür, dass es sich nicht verbiegt. Wird dieser Stoff entfernt, lässt sich das Holz in jede beliebige Form bringen. Zusätzlich kann durch dieses Verfahren das nun fehlende Lignin durch andere Materialien ersetzt werden. Beispielsweise haben die Forscher der EMPA zusammen mit der ETH durch die Integration von Eisenoxid ins Stoffgewebe Holz magnetisiert. Innovationen wie diese eröffnen bisher ungeahnte Möglichkeiten beim Bau von Gebäuden. Aber auch für den optimalen Betrieb haben die Forscher Lösungen parat. So etwa dezentrale Einzelraumlüftungen. Diese in der Fassade integrierten Lüftungsgeräte sind mittels Sensoren an die Raumfenster und die Raumluftqualität gekoppelt. So läuft die Lüftung nur, wenn diese auch wirklich nötig ist. Und das ist erst der Anfang.

Ist die Vision die Energiewende im Gebäudebereich also technisch machbar? Ja. Ist der nötige Wille vorhanden? Auch ja, zumindest grösstenteils. Was steht also noch im Weg? Wie so oft geht es um das Kleingedruckte. Die Aufgabe ist anspruchsvoll und teuer, wie wir festgestellt haben. Wer bezahlt die Kosten, Staat oder Eigentümer? Wie schnell soll das Ganze gehen? Welche Interessen müssen auch noch mitberücksichtigt werden? All diese Fragen gilt es gesellschaftlich bzw. politisch auszuhandeln. Dazu braucht es aber mehr als die MuKEn, denn diese geben lediglich den Minimalstandard vor und bis dieser umgesetzt ist, dauert es bekanntlich lange. Das haben die MuKEn 2014 bereits bewiesen. Eigeninitiative der einzelnen Kantone ist also gefragt, diese können die Lösungen zur Energiewende auch besser an die lokalen Bedürfnisse und politischen Mehrheiten anpassen.

[1] Ausgehend von einem Einfamilienhaus mit einer Heizfläche von 150 m2 – Haushalt von vier Personen und Radiatoren als Heizkörper-Verteilsystem.

[2] Ausgehend von einer Modulfläche von 50–70 m2 und einer Leistung von 15 kWp. Fördergelder, wie Einmalvergütungen wurden nicht berücksichtigt.

Associate Consultant
Thierry Leu